Godehard Lietzow
Zu meinen Aquarellen
Godehard
Lietzow
Am Anfang steht niemals der ideelle
Entwurf, niemals die gedanklich geklärte Konzeption, der
nur noch die Ausführung nach überschaubarer
Bildgesetzmäßigkeit folgt. Ich misstraue den
Ideen-Architekten. Ihre Häuser sind mir zu kalt. In den
temperierten Zonen des Lebendigen fühle ich mich wohler.
Mein Denken ist organisch. Ich kann und möchte es nicht von
meinem Fühlen trennen. Gefühl und Gedanke sind keine
Feinde; Empfindung, Empfindsamkeit, Sinnlichkeit keine
Todsünden wider das Denken.
Wollte ich meine Aquarelle und mich selbst aus ihnen zu
erklären versuchen, müsste ich im Bereich der Musik, der
Gedichte beginnen – besser noch im Bereich des Musizierens,
des Dichtens, denn nicht das Ergebnis, sondern der Prozess
ist wichtig. In aller improvisatorischen Freiheit spiele
ich auf dem Instrument des Aquarelllisten und dem des
Zeichners, belasse der Farbe dem Wasser, der Tusche, dem
Papier, dem Pinsel und der Feder ihre Eigengesetzlichkeit,
ihren Eigenklang. Bewege mich zwischen visueller Harmonie
und Kontrapunktik, versuche ein Grundthema immer wieder
aufzufangen, neu zu intonieren, neu zu paraphrasieren,
unterlege Rhythmen und Gegenrhythmen. – Oder aber, wenn ich
die Analogie zur Sprache herstelle, ist es der Prozess der
Verdichtung: das Ausstreichen, das Löschen von
Überflüssigem, die Infragestellung von Sinnbildern bis hin
zur Umkehr der Ausgangsposition, hin zu einer möglichst
dichten imaginären Sinnhaftigkeit. Auf der Fläche
musizieren, dichten: Lieder malen.
Von meiner engen Beziehung zur Landschaft und zur
menschlichen Gestalt habe ich schon gesprochen.
Erlebniszonen spielen eine Rolle. Gelegentliche
Erinnerungs-Assoziationen, z.B.: Spaziergänge durch den
Tiergarten: Lichtspiegelungen im Wasser, Spaziergänger, die
aus einem Gebüsch auftauchen, ein Landschaftsszenarium
hinter dem filigranen Zweigwerk von Bäumen im Winter. Aber
auch: Wanderungen auf Inseln im Mittelmeer, auf Santorini
vor allem, und auf Anafi: Immer von hoch oben der Blick
(Vogelperspektive) auf das Meer tief unten und auf die
ferne Trennungslinie zwischen Meer und Luft und auf
schwindende Schiffe und aufdämmernde Inseln, fern irgendwo,
und in die weiche, sich stets verändernde Farbikeit des
Lichts, allgewaltig ringsum, oder auf zufällig auf dem
Boden liegende Scherben und auf die kleinen zarten Blüten
der Ackerwinde am Wegrand. Aber auch: Wanderungen durch die
Palmoasen von Djerba und Marrakesch, Wanderungen durch den
Hohen Atlas, durch die Wüste, durch die nächtliche leere
Medina von Fez, durch die nächtlichen Strassen von Berlin,
Paris oder Athen. Alles Anhaltspunkte lediglich, um mich
hier erklärend einzufangen.
Bewusstseinszonen spielen eine Rolle: das Bewusstsein von
der oft schmerzlichen Einsamkeit des Menschen, von der
schicksalhaften Verlorenheit des Lebens in den Tod, in die
Vergänglichkeit. Trauer breitet sich aus, wird zum
Bewusstseinsteppich. Resignationen?: Nein, sie nisten sich
nicht ein. Dagegen kommen Heiterkeiten auf. Der Wanderer
wandert weiter, kennt seinen Weg in der Dunkelheit und
weiß, dass Dämmerung folgt: Horizonte werden gesichtet,
Hügel, Hänge, Inseln, Felder, vereinzelt Gestalten. Der
Wanderer liebt die Freiheit, die Weite, die Stille.
Stille ist vielleicht das Wort, auf das er stoßen musste
als Wünschelrutengänger der wörtlichen Erklärung. Stille –
nicht die Lautlosigkeit, nicht die Leblosigkeit, nicht die
tote Zone des Abstrakten. Stille – vielleicht nur das
private Bedürfnis eines Großstädters, der die Großstadt
liebt und hasst. Vielleicht nur die Antwort auf all die
Unruhe und Un-Stille, den Lärm, ringsum. Vielleicht auch
Neigungen zum Meditativen, zum Betrachtenden.
Der Seelenfrieden, das Glück: ja, auch sie spielen eine
Rolle. Und auch die Schönheit. Wo sie auftauchen, oftmals
sehr zufällig – für mich, für meine Freunde und für die,
die sich der Mühe unterziehen, meine gemalten, gezeichneten
Blätter zu betrachten.
Godehard Lietzow
1981